Eine Plakatkampagne, gestaltet von Künstler:innen, Autor:innen und Illustrator:innen, die sich auf künstlerische und literarisch-poetische Weise mit dem Thema Gewalt gegen Frauen auseinandersetzt.
Die Plakatserie „In your face“ von Aldo Giannotti spricht die Kräfteverhältnisse an, mit denen wir täglich konfrontiert sind: das Geschlecht und die Muskeln. Die Zeichnungen und handgeschriebenen Botschaften sind ohne Filter und provozieren mit den Fragen, was es heißt, stark zu sein und ob das Geschlecht Gewalt rechtfertigen kann. Die Plakate hinterfragen aber auch, was Kraft bedeutet (und bedeuten kann), und wie sehr die Kraft mit Verantwortung einher geht. Wann definieren wir uns über unser Geschlecht? Und wann wird es zu einem Instrument der Macht? Wie möchten wir unsere Kraft einsetzen? Wann glauben wir, dass wir stark sein müssen? Die direkte Sprache der Plakatserie eröffnet eine Vielzahl von Fragen, sie macht in Bildern (sexualisierte) Gewalt sicht- und begreifbar. Die Plakate demontieren Symbole und Stereotypen, denen wir uns in unserem Alltag entgegensetzen möchten. Zugleich haben wir aber das Gefühl, genau in diesen Stereotypen gefangen zu sein.
Die Plakatserie von Stefanie Sargnagel widmet sich klar und deutlich dem Thema Femizid. Sie lenkt dabei die Aufmerksamkeit auf Hierarchien, die sich hinter den Gewalttaten verstecken. Oft ist Gewalt gegen Frauen eine Folge von akkumuliertem Frust, der sich gegen ein (scheinbar) schwächeres Gegenüber entlädt. Die Anspielung auf eine Tiroler Sage verortet die Kampagne und trifft zugleich eine weitere Realität: Viele Beziehungen fangen märchenhaft an, bevor sie ins Gegenteil kippen. Genau wie in der visuellen Sprache ihrer Plakate sind auch bei den Gewalttaten die Hintergründe komplexer als sie scheinen. Letztendlich zeigt die Serie die Ungleichheiten in unserer Gesellschaft auf. Mit trockenem Humor spricht sie das dahinter liegende Thema Macht in einer Weise an, dass uns das Lachen im Hals stecken bleibt.
Das Plakat von Kateřina Šedá inspiriert sich an einer Stellenanzeige und an visuellen Elementen aus der Werbesprache. Allerdings „sucht“ und „bietet“ die scheinbare Anzeige Anforderungen und Möglichkeiten, die Ungleichheiten zwischen Frau und Mann reflektieren. Das Plakat spiegelt das patriarchale System wider, in dem unsere Gesellschaft seit vielen Jahren fest verankert ist und das noch immer unseren Alltag – die Arbeit, das gesellschaftliche Leben und die Partnerschaft – dominiert. Es spricht jene Geschlechterungleichheiten an, die wir viel zu oft als gegeben und unveränderbar hinnehmen. Die Wurzeln der Gewalt liegen aber genau dort: in einer Gesellschaft, die nicht auf einer Gleichberechtigung aufbaut. Die physische Gewalt steht meist am Ende einer Vielzahl von Gewaltverbrechen – sowohl psychischer als auch emotionaler Natur. Kateřina Šedá öffnet das Thema der Gewalt an Frauen und verweist sowohl auf festgefahrene und traditionelle Rollenbilder als auch auf die oft geschlechtsspezifische Abhängigkeit und ihre fatalen Folgen.
Wenn wir Gegenstände und Materialien kaufen, um unser Zuhause einzurichten, können wir uns nicht vorstellen, dass vielleicht eine Tasse oder ein Topf zu einer Waffe werden kann. Die häusliche Gewalt bedient sich der kreativsten Energien und der absurdesten Ausreden, um sich zu legitimieren: Raptus, Eifersucht, Ungehorsam, Verrat, Streit. Die Alltagsobjekte in unseren Wohnungen und Häusern sind oft die einzigen Zeugen der patriarchalen systemischen Gewalt, die im Privaten in ihrer unkontrollierbarsten Wildheit wirkt. Es ist wichtig zu erkennen, dass Gewalt eine Entscheidung ist und nicht eine Folge, und dass all jene, die sich für die Gewalt entscheiden auch die Verantwortung tragen. Zu den schwierigsten Hindernissen, die es für die Betroffenen zu überwinden gilt, gehört sicherlich das Schuldgefühl, die physische, psychische und/oder emotionale Gewalt angeprangert oder sich dagegen aufgelehnt zu haben. Das Plakat soll die Gewalt in ihrer brutalen Normalität aufzeigen.
Es stellt sich die Frage danach, was es bedeutet, Geschehnisse in einer Gesellschaft zu interpretieren und sie dementsprechend zu formulieren. Diese Frage stellen wir uns in unserem künstlerischen Schaffen täglich. Wer interpretiert was auf welche Weise und welche Formen der Gewalt liegen in einer festen Erzählung, einer Vorgabe oder einer Interpretation. Was bedeutet es, wenn der Mord an FLINTA* Personen zu einem Feld von Interpretationen werden darf, und wie wird damit einem Gewaltakt nachträglich zusätzliche Formen von Gewalt auferlegt. Ist jede Interpretation gleich Gewalt, und wo findet die Kunst da ihren Platz? Mord ist nicht interpretierbar. Genauso wie alles was nicht interpretiert werden kann, auch dessen absolute Auslöschung bedeutet. Im Nichts gibt es nichts zu interpretieren.
FLINTA* steht für Frauen (F), Lesben (L), inter (I), nicht-binäre Menschen (N), trans Personen (T), agender (A) und alle, die sich mit den genannten Geschlechtsidentitäten oder keiner identifizieren können (*).
87 000 Frauen und Mädchen wurden 2017 weltweit ermordet. Während der Pandemie ist die Gewalt auf rund die Hälfte, also auf rund 50 % angestiegen, in einigen Ländern auf über 70 %. Nichts daran ist normal. Dennoch scheint im Kampf gegen Gewaltverbrechen an Frauen der Kampf gegen die Normalität am Größten. Wir müssen den Blick auf diese Zahlen wagen. Solange, bis der Schleier der Normalität wie Asche zerfällt. Bis der Schrecken wach wird und das Entsetzen. Bis der Blick fürs Reale erwacht. Und mit ihm die Empathie, die Solidarität. Und endlich die Entscheidung, zu handeln und zu verändern.
Sophie Utikal und Senthuran Varatharajah thematisieren in ihrem Plakat die Gewalt des Patriarchats, von der Männer profitieren, aber unter der sie auch leiden. Es steht außer Frage: Männer werden von klein auf zu Gewalt erzogen. Diese Gewalt richtet sich in erster Linie gegen Frauen und queere Menschen, aber auch gegen Männer selbst. Das Plakat möchte zu ihrem Ende aufrufen. Zu Solidarität und Sanftheit.
Körperliche Misshandlung ist nicht die einzige Erscheinungsform von Gewalt. Sie ist lediglich die sichtbarste Form, die uns davon ablenkt, die zahlreichen anderen Symptome psychischer Schäden anzuerkennen. Zwischen Ehepartnern wird Gewalt oft durch Gewohnheiten getarnt, die unschuldig ausgeführt werden, aber darauf ausgelegt sind, Frauen zu kontrollieren, ihre Handlungsfähigkeit einzuschränken, indem sie ihr Selbstwertgefühl immer wieder herabsetzen, sie von Unterstützungssystemen isolieren und so eine toxische finanzielle und emotionale Abhängigkeit fördern. Wir beschuldigen und hinterfragen Frauen, die sich nicht in der Lage fühlen, missbrauchende Partner zu verlassen, und erkennen selten, warum sie gezwungen sind zu bleiben. Diese Plakatserie lenkt die Aufmerksamkeit auf verschiedene Warnsignale innerhalb von Beziehungen, die oft abgetan werden, weil wir sie nicht als inhärent missbräuchlich erkennen, insbesondere wenn wir Gewalt als eine Erweiterung von Liebe betrachten.